ZGB

Neue Regelung des Transport-und Speditionsvertrages

Trotz ihrer Fehler und Lücken, die die Gerichtspraxis zum Grosssteil versucht hatte zu beseitigen, wurde die innere Logik dieses sehr wichtigen Wirtschaftszweiges  durch die Regelung des Gesetzes Nr. 1959:IV ( altes ZGB) im wesenlichen adequat widerspiegelt. Der Kernpunkt der Regelung war die Harmonie zwischen den Frächter-und Spediteurrisiken und der ökonomischen Struktur dieses Geschäftszweiges oder mit anderen Worten, die die Interessen des Auftraggebers und des Frächters/Spediteurs gleichfalls vor Auge behaltende Regelung der rechtlichen Konsequenzen der „Fehlleistung” ( Verlust, Vernichtung  oder Beschädigung der Ware).

Die wichtigsten Transporteur/Spediteurhaftungsbestimmungen des Gesetzes Nr. 1959:IV waren kurz zusammengefasst die Folgenden:

  1. Geriet der Frächter/Spediteur mit der Ausstellung des Transportmittels in Verzug, hatte der Auftraggeber Rücktrittsrecht und konnte die Erstattung seiner Spesen verlangen.
  2. Wurde die Ware während des Transportes beschädigt, haftete der Frächter, es sei denn die Beschädigung war auf unabwehrbare äussere Gründe, auf innere Eigenschaft der Ware, auf von aussen nicht bemerkbaren Mangel der Verpackung usw. zurückzuführen. Unter dem Titel „Schadenersatz” hatte der Frächter die Reparaturkosten und den eventuellen Wertverlust zu erstatten.
  3. Ging die Ware während des Transportes zum Teil oder zur Gänze verloren, haftete der Frächter wie im Punkt 2. beschrieben und musste auf den entsprechenden Frachgebührenteil verzichten.
  4. Geriet der Frächter mit der Auslieferung der Ware in Verzug, hatte er eine Vertragsstrafe bis max. in der Höhe der Frachtgebühr zu zahlen. Zum Schluss deklarierte das Gesetz Nr. 1959:IV seinen subsidiären Charakter für den Fall von grenzüberschreitenden Transporten.
  5. Die Bestimmung über die Spediteurhaftung ( für Warenschäden haftete der Spediteur uzw. wie ein Frächter wenn er den Transport selbst durchgeführt hatte oder die Weiterleitung der Ware im Sammelverkehr erfolgte) definierte die Fälle der Haftung für Warenschaden  und hinsichtlich des Inhalts der Haftung wies auf das Transportkapitel hin.

Zusammengefasst: die Tatbestände und rechtlichen Konsequenzen, die Höhe des Schadenersatzes imbegriffen wurden durch das Transportkapitel des Gesetzes ausreichend definiert .
Diese Regelung wurde durch die Praxis bestätigt wenn auch gewisse Auslegungsprobleme auftauchten ( z.B. die Frage des Beweislastes bei den Befreiungsgründen oder der Begriff der groben Fahrlässigkeit ).

Offensichtlich um Tautologien zu vermeiden und einfachheitshalber hat das Transportkapitel des neuen ZGB ( Gesetz Nr. 2013:V) auf die taxative Regelung der oben erwähnten typischen Frächter/Spediteurhaftungssituationen verzichtet und hat die Haftungsbestimmungen auf verschiedenen Ebenen eines hierarhischen Systems placiert. Umsomehr scheint zweckmässig zu überblicken, welche Lösungen für die oben beschriebenen typischen Fälle durch das neue Gesetz geboten werden.

  1. Für den Fall des Verzugs bei Ausstellung des Transportmittels enthält das Gesetz keine direkte Regelung, folglich ist dieser Fall aufgrund der allgemeinen Regeln der Vertragsverletzung zu behandeln. Das führt – die Endlösung betrachtet ( Rücktrittsrecht des Auftraggebers)- zu dem gleichen Ergebnis wie gemäss dem Gesetz Nr. 1959:IV. Der Verzug ist auch mit einer Schadenersatzpflicht verbunden, die höchstwahrscheinlich gemäss den rigorosen Regeln der kontraktualen Schadenshaftung abzuwehren ist.
  2. Die Spezialität der Regelung der Haftung für Warenschaden ist, dass sie gar nicht existiert.Es steht ausser Zweifel,dass der Vertrag durch den Frächter verletzt wird, falls er die Ware beschädigt ausliefert und es nachgewiesen wird, dass die Beschädigung während des Transportes enstand, unabhängig davon, dass der Gesetzgeber versäumt  hat,  in die Definition des Transportvertrages die Pflicht der Bewahrung der Unversehrtheit der Ware einzubauen.  Daraus folgt aber, dass die Haftung für Beschädigung der Ware nicht wie früher aufgrund der Prüfung der im Transportkapitel exakt aufgelisteten Umstände sondern aufgrund der §§ 6:142 und 143 ( Haftung für kontraktuale Schäden; Haftungsbefreiung) zu beurteilen ist, was bedeutet, dass – mangels abweichender vertraglicher Regelung – der Frächter sich erst dann befreien kann, wenn die Beschädigung der Ware (Vertragsverletzung) auf einen unvorhersehbaren Umstand ausserhalb seiner Kontrolle zurückzuführen ist und die Vermeidung oder Abwehr der Beschädigung vom Frächter nicht zu erwarten war. Unter dem Titel Schadenerasatz hat der Frächter den eingetretenen Schaden zu vergüten, den entgangenen Gewinn nur im Falle der Vorhersehbarkeit. Es steht nach wie vor nichts im Wege, dass der Frächter entsprechend der Transportpraxis seine Haftung  z.B. für die durch ungeeignete Verpackung verursachte Schäden vertraglich ausschliesst oder im Vertrag – wie es insbesondere in internationalen Transportabkommen üblich  ist– Haftungsbeschränkungen verwendet aber er muss die kogente Bestimmung des § 6:152 in Betracht ziehen, die den Haftungsausschluss für den Fall von Beschädigung des menschlichen Lebens oder der Gesundheit und für den Fall der absichtlichen oder grob fahrlässigen ( § 6:268) Schadensstiftung  verbietet.
  3. Die Situation ist ähnlich im Falle des teilweisen oder vollen Warenverlustes oder Warenvernichtung. Gewisse  Auslegungsregeln sind im neuen ZGB zwar zu finden ( z.B wann der Verlust als eingetreten zu betrachten ist), aber die Sanktionen fehlen d.h. es dürfte auch in diesen Fällen gemäss dem Punkt  2. vorzugehen sein.
  4. Die Bestimmung, wonach der Frächter für die verspätete Auslieferung max. bis zur Höhe der Frachtgebühr haftet ist verschwunden ohne im Transportkapitel des neuen Gesetzes  durch eine andere Bestimmung ersetzt zu werden. Die Situation sollte also aufgrund der Bestimmungen über den Schuldnersverzug ( §§ 6:153 und 154) beurteilt werden.
  5. Die Frage der Haftung von Spediteuren für Warenschäden wurde ähnlicherweise einfach gelöst, indem kurz und bündig auf die Haftung des Frächters hingewiesen wird.

Die wichtigste praktische Konsequenz der neuen Regelung des Transport/Speditionsvertrags ist also die, dass dem Inhalt und der Auslegung von konkreten Transport/Speditionsverträgen nunmehr eine sehr grosse Bedeutung zukommt. Das ist umsomehr bemerkenswert, da diese Verträge in der derzeitigen Praxis sehr häufig in Form von Frachtnotierung und Annahme per mail zustande kommen.
Die Frächter und Spediteure sollten also in der Zukunft die rechtlichen Formen finden, in denen ihr Vertragswille hinsichtlich des Grundes und des Umfangs ihrer Haftung entsprechend ihren wirtschaftlichen Interessen widerspiegelt wird. Aus den Speditionsverträgen dürfte darüber hinaus auch der konkrete Hinweis auf den Spediteurstatus nicht fehlen.

Die Haftung von führenden Amtsträgern einer Gesellschaft

Der Paragraph 6:451 des Gesetztes Nr. 2013:V ( das „neue ZGB”) über die Haftung für von führenden Amtsträgern einer juristischen Person Dritten verursachten Schaden lautet:

 „ Verursacht der führende Amtsträger einer juristischen Person in Zusammenhang mit seinem Rechtsverhältnis als führender Amtsträger Dritten einen Schaden, haftet der führende Amtstrager mit der juristischen Person solidarisch.”

Dem Vorsitzenden des Kodifikationsausschusses, Prof. Dr. Lajos Vékás zufolge sei das Ziel der Kodifikatoren bei dieser Bestimmung gewesen, die Position von führenden Amtsträgern insofern zu stärken, indem die juristische Person als Arbeit-oder Auftraggeber des führenden Amtsträgers als solidarisch Haftender neben den führenden Amtsträger , der ja auch schon gemäss dem „alte ZGB” haftete, gestellt wird.

Mögen die Argumente von Prof. Vékás auch so überzeugend klingen, darf man nicht ausser Acht lassen, dass diese gesetzliche Bestimmung von vielen Betroffenen ganz anders, nämlich als wesentliche Verschärfung der Haftung erlebt und ausgelegt wird, was auch die Möglichkeit einer vom Standpunkt der Kodifikatoren abweichender Auslegung durch die Gerichte in sich birgt. Man darf nicht vergessen, dass die prinzipielle Möglichkeit der Haftbarmachung eines führenden Amtsträgers in Form von deliktualer Haftung zwar auch im alten ZGB gegeben war, es in der Praxis fast nie zu einer solchen Haftbarmachung kam, weil sie sich einfach als überflüssig erwies. War der führende Amtsträger als Angestellter beschäftigt, haftete der Arbeitgeber für den vom führenden Amtsträger Dritten verursachten Schaden direkt und voll. Handelte es sich um ein Auftragsverhältnis ( Werkvertrag) hafteten der Arbeitgeber und der führende Amtsträger nach Hauptregel solidarisch, was die Haftbarmachung des finanziell schwächeren führenden Amtstragers einfach überflüssig machte.

Es ist kaum zu wundern, wenn ein neues Gesetz, das im Gegenteil zu dem alten die Haftung des führenden Amtsträgers explizite als selbständigen Sachverhalt kodifiziert, von den Betroffenen als Verschlechterung ihrer rechtlichen Position erlebt wird.

Der einzige Rat, den der Rechtsanwalt in dieser Situation geben kann ist, dass die führenden Amtstrager für irgendeine Deckung  ( z.B. Haftpflichtversicherung) sorgen sollten, wenigstens so lange bis sich der eindeutige Standpunkt des Gerichts in dieser Frage herauskristallisiert.